Wie gelingt aus Sicht der Künstler mehr Nachhaltigkeit auf der Bühne? Wir sprechen mit Reggae-Sänger und Songwriter Patrice Bart-Williams über Elektroroadtrips, umweltschonendes Vinyl aus Frittenfett und den Traum vom Selbstversorgerstudio in der Karibik.
Konzerte sind bisher alles andere als umweltfreundlich – mit Strom für die Bühne, Reise von Band und Fans oder Müll vor Ort. Aus Sicht des Künstlers: Wie nimmst Du die Eventbranche in Bezug auf Nachhaltigkeit wahr?
Ich erinnere mich an die Zeit der Corona-Pandemie. Da mussten sich alle verkleinern oder alternative Modelle finden. Man hatte das Gefühl, dass es den Veranstaltern entgegenkommt, wenn Konzerte kleiner und damit nachhaltiger werden. Da gab es viele Gespräche für mehr Umweltschutz und Effizienz und alle waren dabei. Als die Liveevents nach der Pandemie aber wieder starteten, war das plötzlich nicht mehr präsent. Ganz im Gegenteil. Es hieß eher – ich brauche mehr Jobs!
Vieles geht von den Künstlern aus. Die stehen jedoch vor dem Dilemma, dass sie zwar nachhaltiger touren wollen, aber gleichzeitig damit ihr Geld verdienen. Du musst immer kreativer sein, um Deine Show auf die Bühne zu bringen und das richtige Verhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie zu finden. Nach der Pandemie sind außerdem überall die Kosten explodiert, also für Personal, Sprit etc. Die Gagen für Künstler sind nicht unbedingt gestiegen, ganz im Gegenteil.
Große Konzerte sind erfolgreicher denn je. Das Phänomen gibt es überall. Es ist ein wenig wie bei einem Anbieter wie Amazon, der stetig wächst, während kleine Läden schließen müssen. Als Künstler profilierst Du Dich damit, wie groß Deine Bühne oder Deine Lichtshow ist. Es bleibt aber die Nachhaltigkeit auf der Strecke, wenn Events immer gigantischer werden.
Welche Lösungen verfolgst Du?
Wo es viel Ambition gibt, gibt es leider auch viel Green Washing. Es sollte also mehr passieren, als nur zu Slogans zu verkünden.
Wir versuchen mit unserem Team kleine Ansätze. Wir touren mit zwei Elektrobussen und einem Anhänger. Das ist eine ziemliche Challenge, wenn wir ständig zum Tanken stoppen müssen. Irgendwie schweißt ein solcher Elektroroadtrip aber zusammen und macht Spaß. Weitere Ansätze sind der Verzicht auf Plastikflaschen. In Frankreich, wo ich viel unterwegs bin, ist das noch ein größeres Problem als in Deutschland. Auch Akkus kann man nachhaltiger pflegen. Das sind alles kleine Beiträge.
Die Herausforderung ist, denselben Show-Effekt mit weniger Footprint auf die Bühne zu bringen. Es ist eben schwer, eine große Beschallungsanlage oder eine Lichtshow allein mit Solar- oder Windenergie zu powern. Innovative Technologie kommt uns da eigentlich entgegen. Auf der anderen Seite hat sich das Tourleben nicht allzu sehr verändert. Wir touren wie vor 70, 80 Jahren. Tourbusse müssen eben laufen und zwar ununterbrochen, weil wir darin leben. Da hat sich nicht viel getan.
Der größte Faktor für Verbesserung ist die Ab- und Abreise der Besucher. Hier arbeiten wir für einen nachhaltigen Verkehr mit Städteverbänden oder Carsharing-Unternehmen zusammen. Wir kommunizieren solche Angebote an die Fans, um sie zu mehr Umweltschutz zu animieren. Wir agieren eng mit Green Nation vom Ticketanbieter Live Nation. Das ist eine globale Plattform für mehr Nachhaltigkeit. Wir haben dort einen Ansprechpartner, mit dem wir für Lösungen direkt zusammenarbeiten.
Du lebst als Kosmopolit in Deutschland, Frankreich und Jamaika. Wie nimmst Du Deutschland beim Thema Umweltschutz wahr?
Wir nehmen in Deutschland unser Pfandsystem als selbstverständlich hin. Das gibt es aber so vorbildlich nur in diesem Land. Ich finde krass, wie in anderen Ländern Wasser mit sehr viel Plastikflaschen konsumiert wird. Auch bei der Mülltrennung ist Deutschland weit vorn. Allerdings weiß ich nicht, was danach mit den Rohstoffen passiert.
Hat sich Dein eigenes Bewusstsein bei dem Thema im Laufe der Jahre geändert?
Ich fand das schon wichtig, als es noch nicht Trend war. In meiner Familie war ich immer der Treiber. In einem Internat, wo ich zur Schule gegangen bin, habe ich als 15-Jähriger eine Satire über den Grünen Punkt geschrieben. Das war mein bester Aufsatz überhaupt. Den hat die Schule sogar aufgehängt. Der ist da immer noch eingerahmt.
Aber nicht, weil Du inzwischen berühmt bist?
Nee, weil der gut war.
Vinyl feiert zurzeit ein kleines Comeback. Hier setzt Du auf nachhaltige Materialien, auf Bio-Vinyl.
Bio-Vinyl wird aus recyceltem Frittenfett hergestellt. Damit erreicht man eine nachhaltige PVC-Lieferkette. Das Altspeiseöl ersetzt also das bisherige Erdöl. Bei der Herstellung lässt sich CO₂ einsparen und es ist zu 100 Prozent recycelbar.
Ich habe die Testpressung gehört und fand die genauso gut. Akustisch und optisch ist das Produkt also identisch zu bisherigem Vinyl und damit eine Alternative. Man muss keine Materialien importieren. Für mich macht das Sinn. Ich bin einer der ersten Künstler, der das umsetzt, und frage mich, warum dieses Angebot nicht alle nutzen. Ich hoffe, dass sich das durchsetzt.
Wir neigen alle dazu, Dinge so zu machen, wie wir es immer tun. Nachhaltig und progressiv zu sein, geht aber oft Hand in Hand. Das finde ich gut.
Aber man kann die Platte nicht essen?
Stimmt, das ist der erste Gedanke. Man riecht auch daran. Aber es riecht genauso wie normales Vinyl.
Du baust Dir gerade auf Jamaika ein Tonstudio. Steht das mitten im Dschungel?
Mehr oder weniger. Es befindet sich auf einem Hügel. Drumherum ist nur viel Grün. Man hat einen weiten Blick auf Orangenplantagen. Da gibt es keine Straßen. Wir mussten dort alles hochschaffen. Es fing an mit sieben Eseln, die das Baumaterial transportierten.
Es ist ein Projekt von Clive Hunt, einem legendären Reggae-Produzenten. Wir machen dafür gemeinsame Sache. Innen ist es bereits ausgebaut und verkabelt. Es fehlt noch die Ausgestaltung und das Equipment. Ich hatte schon immer den Traum einer Selbstversorgeroase mit Tonstudio.
Schreibst Du Deine Songs in Paris oder Berlin anders als in Kingston oder im Regenwald?
Das geht im Grunde überall. Ich muss mich als Künstler dafür neu finden, in einen neuen Bewusstseinszustand bringen. Da ist die Wechselbeziehung zwischen Dir und der Umwelt wichtig. Ich spiele dafür gern mit neuen Perspektiven, ob nun innovatives Equipment oder eine andere Umgebung. Man muss immer wieder zum Anfänger werden und sich neu zusammenzusetzen.
In 2024 startet Deine neue Tour. Bist Du nervös?
Nein, ich fühle mich auf der Tour und auf Festivals am wohlsten. Ich liebe es, wenn ich live spielen kann. Schon immer. Ich musste eher das Drumherum lernen, also ein solches Interviews zu geben.
Seit November 2023 ist Dein neues Album „9“ heraus. „Live‘s Blood“ hast Du zuletzt 2016 veröffentlicht. Das hat mich an Sade erinnert. Die gönnt sich immer zehn bis zwanzig Jahre Pause und bringt dann, wenn sie gerade Lust hat, mal wieder ein neues Album heraus. Weniger ist mehr, sehr nachhaltig.
Die geht damit aber trotzdem auf 1. Daran muss ich noch arbeiten (lacht).