Stark durch die Krise

Ein Gespräch mit der ehemaligen Gesundheitsministerin und SPD-Bundestagsabgeordneten Ulla Schmidt über Zuversicht in schwierigen Zeiten und ihr Engagement für die Initiative „Stark durch die Krise“.

Wie geht es Ihnen in dieser Krise?

Wie so vielen. Man wünscht sich, dass wir diese Pandemie endlich überstanden haben und das normale Leben wieder stattfindet. Mir fehlt das soziale und kulturelle Leben sehr.

Wie erleben Sie die Deutschen in dieser Zeit?

Als sehr diszipliniert. Das merkt man schon während eines Spaziergangs auf der Straße. Allerdings spürt man ja auch, dass wir an eine Grenze gekommen sind, wo die Menschen ungeduldig werden. Bald steht der Sommer vor der Tür. Sie möchten im Biergarten sitzen, normal zur Arbeit gehen und Kinder wollen Sport machen. Gleichzeitig sind aktuell die Belastungen für viele enorm hoch.

Jeder hat seine eigene Methode, mit Krisen umzugehen. Welche ist Ihre?

Ich arbeite (lacht). Abgeordnete müssen gerade viele Entscheidungen treffen. Auf der anderen Seite habe ich während der 30-jährigen parlamentarischen Arbeit noch nie erlebt, dass so viele Termine abgesagt wurden. Auch die Veranstaltungen am Wochenende, an denen man in seinem Wahlkreis sonst teilnimmt, fallen wegen Corona nun komplett weg. Ich empfinde die zahlreichen Online-Konferenzen als sehr anstrengend. Gerade Politik lebt davon, dass man sich mal schnell zusammensetzt und im Gedankenaustausch Lösungen findet. Kommunikation online macht Gespräche unpersönlich. Das gilt auch für meinen Wahlkreis in Aachen, wo ich sonst Menschen vor Ort deutlich häufiger treffe. Jetzt ist alles sehr auf Distanz. Ich brauche ein Gefühl dafür, wie Menschen in Gesprächen reagieren. Viele Menschen haben Existenzsorgen. Familien müssen in kleinen Wohnungen auf engstem Raum zusammenleben oder sich plötzlich um Homeschooling kümmern. Eltern mit behinderten Kindern benötigen dringend Förderung, die gerade wegfällt. Durch die Krise tun sich also neue Gräben der Ungerechtigkeit auf; das belastet.

Wir leben in Zeiten, in denen sich grundlegend verändert, wie wir leben und arbeiten. Wir wissen, dass sich das auch auf die Psyche der Menschen auswirkt. Gerade die psychischen Belastungen, unter denen Kinder zurzeit leben, haben zugenommen. Sie können ihre Freunde nicht treffen oder in den Kindergarten gehen. Stress erleben aber auch die Erwachsenen. Depressionen und psychische Beschwerden nehmen aufgrund von Überforderung zu.

Sie haben die Schirmherrschaft für die Initiative „Stark durch die Krise“ übernommen – warum?

Ich halte die Initiative für eine sehr gute Idee. Aus meiner Erfahrung als ehemalige Gesundheitsministerin weiß ich, wie schwierig die Versorgung mit therapeutischen Angeboten ist. Viele warten noch immer wochenlang auf einen Termin. Die Initiative ist ein niedrigschwelliges Angebot mit ausgebildeten Therapeutinnen und Therapeuten. Betroffene können sich hochqualitativ informieren und schnell und unkompliziert Hilfe bekommen. Wichtig ist auch, dass man sich nicht isoliert fühlt. Das allein ist manchmal schon viel wert. Solche einfachen und kostenfreien Zugänge brauchen wir gerade in dieser Krise.

Angebote der Telemedizin gibt es immer mehr. Aber so, wie der Politiker die Nähe zu den Menschen braucht, muss doch aber auch der Arzt den direkten Kontakt zu seinen Patienten suchen?

Wir brauchen beides. Es gibt ländliche Regionen mit massivem Ärztemangel. Da kann ein Telefonat in der Erstversorgung inklusive Diagnose hilfreich sein, um mögliche weitere Schritte einzuleiten. Ähnliche Projekte unterstütze ich gerade in Afrika. Wir brauchen also mehr Telemedizin, damit die Versorgung auch in der Fläche gelingt.

Die Gesellschaft diskutiert inzwischen offener über Depressionen. Wie nehmen Sie die Debatte wahr?

Probleme mit der psychischen Gesundheit stehen noch immer nicht auf einer Stufe mit denen der physischen Gesundheit. Das erzählen mir viele Menschen. Da wird jemand unter Kollegen bemitleidet, wenn er an Krebs erkrankt. Bei Depressionen zweifelt man dagegen an, ob die Person ihr Leben noch geregelt bekommt. Auch wenn einige vorbildliche Arbeitgeber besser mit diesen Themen umgehen, gibt es nach wie vor eine Angst, sie offen anzusprechen. Dabei kann man Betroffenen in
vielen Fällen helfen. Wichtig ist die Botschaft: Ihr seid nicht allein und keine Außenseiter. Es gibt Hilfe und ihr könnt eure Erkrankung in den Griff bekommen.

Was glauben Sie, wie hoch der Anteil an Politikern ist, die hier Hilfe in Anspruch nehmen?

Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich selbst bin Gott sei Dank eine robuste Natur. Aber das ist unterschiedlich.

Immer mehr junge Menschen benötigen therapeutische Hilfe. Woran liegt das?

Es gibt heute eine hohe Belastung. Junge Menschen erzählen mir, dass sie in fordernden Berufen in großen Unternehmen tätig sind und dass dort viel von ihnen verlangt wird. Sie erleben großen Druck in ihren Projekten. Der ständige Umgang mit Social Media oder jetzt das Homeoffice machen es nicht einfacher. Das geht sehr an die Substanz. Teilweise verdienen sie viel Geld für ihr junges Alter. Irgendwann sagen sie dann aber oft kurz vor dem Burnout: Ich verzichte lieber auf das Geld und möchte ein Stück Leben zurück.

Es wird gern von der Work-Life-Balance gesprochen. Es ist zu bezweifeln, ob die immer gelingt. Wie war das im Ministeramt?

Als Ministerin haben Sie immer viel zu tun und Ihr Job geht rund um die Uhr. Eine richtige Balance ist da fast nicht möglich.

Sie halten den Rekord, neun Jahre als Bundesgesundheitsministerin tätig gewesen zu sein. Und das in einem Umfeld mit sehr starken Interessengruppen. Wie ist Ihnen das gelungen?

Wichtig ist mir immer, mein Fachgebiet zu kennen. Sie stellen sich ständig die Frage: Was bewirken die Entscheidungen konkret für die Menschen? Wie finde ich Lösungswege und wie werde ich unterschiedlichen Interessengruppen gerecht? Es gibt nie die eine Wahrheit – auch wenn das einige glauben.

Als Ministerin führen Sie eine große Verwaltung und treffen wichtige Entscheidungen. Sie müssen auch für Mehrheiten werben. Als Abgeordnete müssen Sie vor allem politische Inhalte im Parlament besprechen und für die Menschen im Wahlkreis durchsetzen. Sie haben also eine andere Verantwortung. Ich denke, wir haben viele Reformen umsetzen können. Ich habe das gern gemacht, auch wenn es harte Arbeit war. Ich konnte mich auf ein sehr gutes Team verlassen. Und es gab wohl auch keinen anderen, der so richtig scharf war auf den Job.