„Kopf hoch und weiter geht es“

Bis zu seinem Rückzug aus der Politik im Herbst 2017 war Wolfgang Bosbach einer der prominentesten Abgeordneten des Deutschen Bundestages. 2010 machte er seine Prostatakrebserkrankung öffentlich, zwei Jahre später, dass sie wegen fortgeschrittener Metastasen unheilbar ist. Ein Gespräch über Kampf und Gelassenheit, das Hadern mit Gott und ein Handicap von 34.

Sie leben seit 2010 mit der Diagnose Prostatakrebs. Wie geht es Ihnen heute gesundheitlich?

Es geht mir den Umständen entsprechend, aber relativ gut. Anders formuliert: so la la. Positiv ist, dass ich jeden Tag das tun kann, was ich gerne tun möchte. Negativ ist, dass für mich eigentlich jeder Tag zu lange dauert. Denn diese bleierne Müdigkeit am Abend ist eine Folge der Therapie.

Wie sieht der typische Tagesablauf von Wolfgang Bosbach inzwischen aus? Jagt noch ein Termin den anderen?

Viel hat sich bislang noch nicht geändert. Ich bin nach wie vor tüchtig unterwegs, bundesweit. Es gibt allerdings auch zwei gravierende Veränderungen gegenüber meiner Zeit als Mitglied des Bundestages: Ich komme jetzt zumindest zum Schlafen öfter nach Hause. Und seit knapp zwei Jahren beginnen fast alle Einladungen mit: „Jetzt, wo Sie mehr Zeit haben, könnten Sie doch mal usw, usw…“.

Unheilbar – können Sie sich noch an dieses Wort Ihres Arztes und seine Wirkung erinnern?

Natürlich kann ich mich noch daran erinnern. An jedes einzelne Wort. Wer wäre da nicht schockiert? Aber für mich gilt im Leben generell: Nie an Dingen verzweifeln, die man nicht ändern kann und immer versuchen, aus einer schweren Situation das Beste zu machen. So auch hier.

Sie haben Ihren Krebs öffentlich gemacht – wie waren die Reaktionen der Menschen?

Ich habe mich öffentlich erklärt, als es nicht mehr zu verheimlichen war! Ich war oft in stationärer Behandlung und 30 Mal bei der Strahlentherapie. Im Wartezimmer würde mir ja doch kein Mensch glauben, dass ich da wegen Schluckbeschwerden oder Fusspilz sitze. Bevor wild spekuliert wird, sage ich lieber selber, was Sache ist.

In Kitzbühel kam einmal ein Mann auf mich zu und sagte nur kurz: „Ich habe dasselbe wie Sie. Ich mache das genauso wie Sie. Ich lasse mich nicht unterkriegen!“ Kein Wort von Krebs, aber ich wusste sofort, was er meinte!

Wie lange hat es gedauert, dass Sie sich Ihr Motto „Jetzt erst recht“ für diese Lebenssituation bewusst machten? Und wie hilft es Ihnen bei dieser Erkrankung?

Keine fünf Minuten. Nicht mit dem Schicksal hadern. Nicht fragen: „Womit habe ich das nur verdient?“ Das bringt doch alles nichts. Kopf hoch und weiter geht es.

Memento mori”, also „Sei Dir Deiner Sterblichkeit bewusst“, gilt im Grunde für jeden Menschen. Nicht nur für den, den eine tödliche Krankheit bedroht. Wie hat sie Sie mental verändert?

Sie hat mich auf jeden Fall gelassen gemacht. Ich rege mich längst nicht mehr über alles auf, was mich noch vor fünf oder sechs Jahren in Rage versetzt hätte. Und wenn zwei über lächerliche Kleinigkeiten streiten, dann denke ich nur: „Eure Sorgen möchte ich haben!“

Sie sind rheinischer Katholik, bezeichnen sich selbst als gläubigen Menschen. Was ist das für ein Gott, der Sie erst mit einem Herzschrittmacher und dann mit Krebs belastet? Wie kann der noch Trost spenden?

Ja, im ersten Moment habe ich schon mit Gott gehadert. Ich habe ja schon seit 1994 mit der chronischen Herzschwäche mein Päckchen zu tragen – und dann kam noch der Krebs dazu. Das musste nun wirklich nicht sein. Aber gleichzeitig findet man auch Trost und Kraft im Glauben. Denn die christliche Botschaft ist eine frohe, keine traurige. Unter dem Strich habe ich in meinem Leben viel mehr Glück als Pech gehabt. Da will ich nicht undankbar sein. Es gibt viele, denen geht es viel schlechter als mir.

Gott hat einen komischen Humor. Finden Sie nicht auch?

Ich weiß nicht so recht. Bislang hatte ich ja noch keine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Bislang waren die Dialoge eher Monologe von mir. Irgendwann ja – aber im Moment fühle ich mich hier unten noch relativ wohl. Wenn es so weit ist, sage ich Bescheid.

Und was ist, wenn uns nach dem Tod doch nur das große Nichts erwartet? Also kein Gott, der uns da oben die Tür aufmacht?

Dann ist das ein Grund zur Reklamation! Frage ist nur: Auf welcher Rechtsgrundlage. Und vor allem: bei wem? Der Glauben heißt ja deshalb so, weil wir hoffen und darauf vertrauen. Nicht mehr. Aber das ist doch schon eine ganze Menge! Und ich bin zuversichtlich, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Und dass wir in unseren Kindern und unsere Seele weiterleben.

Hinterher ist man immer schlauer: Bei aller kräftezehrenden Arbeit haben Sie zwar nach medizinischen Maßstäben gesund gelebt, aber die

Vorsorgeuntersuchung ignoriert. Warum? Hatten Sie unbewusst Angst vor ihr?

Ich glaube, das geht vielen so. Leider! Zum einen sagt man sich: „Ist wichtig, aber im Moment keine Zeit, also später“. Und zum anderen: „Mir fehlt ja nix, warum soll ich ausgerechnet jetzt gehen?“ Das war ein großer Fehler. Leider nicht korrigierbar.

Die Bundeskanzlerin hat gerade mehrmals öffentlich gezittert – und

selbst einige internationale Medien haben das intensiv verfolgt. Halten Sie dieses Medieninteresse für gerechtfertigt?

Jein. Natürlich ist das Thema von öffentlichem Interesse. Aber bitte nicht von morgens bis abends und bitte ab jetzt nicht jede Übertragung unter der Überschrift: Zittert sie wieder?

Ist die Krankenakte einer Bundeskanzlerin ihre Privatangelegenheit?

Solange das Amt darunter nicht leidet, solange die Kanzlerin im Vollbesitz ihrer Kräfte ist – in jeder Hinsicht.

Ganz ehrlich: Welche Privilegien des Spitzenpolitikers vermissen Sie und wie ist das so ohne Sekretärin?

Als Churchill nach seinem Ausscheiden aus dem Amt als Premier gefragt wurde, was er vermisst, meinte er kurz und trocken: „Information and transportation“.

Heute gibt es das Netz, Information ist kein Problem. In punkto Transport war ich schon immer selbständig unterwegs. Was mir wirklich fehlt, ist die organisatorische Hilfe meiner Frau Sittig. Die hatte alles im Griff. Mich auch.

Sie schwärmen inzwischen für Golf und seine 18 Loch. Verraten Sie uns ihr Handicap und woher kommt die späte Liebe für diesen Sport?

Ich habe das traurige Handicap von 34. Da ist also noch viel Luft nach oben. Ich komme vom Tennis und hätte nie gedacht, dass mir der Golfsport so viel Spaß macht. Das ist wohl die Kombination von Sport und Natur – und dass man gegen sich selber spielt. Kein Gegner hat ja Einfluss auf den eigenen Schlag.

Sie die Wahl haben und ein Gespräch inklusive: Treten Sie auf dem Grün lieber gegen Trump oder Obama an?

Da ich mit seiner Schwester erst vor wenigen Wochen gespielt habe, würde ich mich auf ein Match mit dem Bruder sehr freuen! Also Barack Obama.

Sie hat seit ein paar Jahren das Reisefieber gepackt. Also raus aus Bergisch Gladbach und ab nach Südfrankreich oder Thailand. Außerdem reizt Sie Kuba. Dass Gregor Gysi und Sigmar Gabriel auf diese Insel fliegen, kann man verstehen. Aber was lockt den CDU-Politiker Bosbach in dieses durch und durch sozialistische Land? Keine Angst, im Urlaubsparadies noch politisch bekehrt zu werden?

Einfach alles! Die politische Lage, die tolle Natur, die interessante Kultur, die fröhlichen, aufgeschlossenen Menschen, die wunderbaren Strände. Bekehren ist lustig. Wer nach einer Kubareise immer noch Anhänger des Sozialismus ist – sorry, dem kann ich nicht helfen. Und warum sollte dann ausgerechnet ich, der die Freiheit liebt, für so ein Regime schwärmen?