Der dicke und der dünne Tetje

Mit dem gut gelaunten, großen Dicken fand Schauspieler Tetje Mierendorf die Rolle seines Lebens. Auf dem Bildschirm als peinlicher Verlobter mit Traumquoten auf Sat1. Und jenseits der Bühne als 180 Kilo schwerer und 197 Zentimeter großer Mann, der nie zu übersehen war, aber sich hinter seinen Rettungsringen versteckte. Ein Gespräch mit dem 47-Jährigen über die Wiedergeburt nach der Radikalkur, das Prinzip Verantwortung und die Sucht nach Kinderschokolade.

Waren Sie heute Morgen auf der Waage und gefiel Ihnen, was Sie sahen?

Ich schleppe zwei Kilos von Ostern mit mir herum. Die möchte ich loswerden. (lacht) Aber alles gut. Ich stelle mich morgens und abends auf die Waage. Von meinen ursprünglich 97 Kilo bin ich etwas entfernt, auch weil ich mein sportliches Training umgestellt habe. Zurzeit will ich von 110 runter auf 108. Aber das ist ein respektabler Korridor. Mein Körperfettanteil ist zufriedenstellend niedrig und entscheidend ist die Optik.

Ihr Gewicht lag mal deutlich höher. Können Sie den dicken Tetje von früher beschreiben?

Der wog 180 Kilo und war das Klischee eines Dicken. Immer bestens drauf. Wollte mit allen gut Freund sein. Sah das Gute in den schlechtesten Menschen. Einige beleidigten ihn. Besonders die, die Dicke als Projektionsfläche für eigene Probleme sehen. Wenn er Kleidung kaufte, schauten Verkäufer herablassend auf ihn herab. Er bestellte aus den USA Klamotten in XXXXXXXXL.

Körperfülle kann den Alltag beschränken. Können Sie solche Momente beschreiben?

Ich bin vor einer Eisdiele mit dem Stuhl zusammengebrochen. Man warf mich aus der Achterbahn, weil der Sicherheitsbügel nicht schloss. Genauso wenig wie der Gurt in einem Flugzeug. Überflüssig war, dass die Stewardess das über Lautsprecher mitteilte: Können Sie bitte dem Herrn in Reihe Neun eine Gurtverlängerung bringen. In einem Kölner Hotel schrottete ich den Sitz meiner Zimmertoilette. Solche Situationen waren hoch demütigend. Auch für meine Begleiter. Aus Scham trat ich die Flucht nach vorne an. Ich überspielte es lustig.

Welches Gefühl für Ihren Körper hatten Sie in dieser Phase?

Wenn ich vor dem Spiegel stand, sah ich mich. Aber Arm in Arm neben meiner Frau ein Tier. Ich wusste, dass ich zu viel drauf hatte. Aber meine Güte – ein Zweifachmensch!

Ärzte diagnostizierten eines Tages Diabetes. Ihre Frau schrieb einen Brief der Ängste, um Sie aufzurütteln. Warum haben diese Warnsignale nicht gewirkt – und was war final die Initialzündung, etwas zu ändern?

Mir war egal, wie alt ich werde. Ich dachte, wenn ich nicht mehr bin, vermisst mich eh keiner. 2012 kam meine Tochter Emma auf die Welt. Gleichzeitig starb mein Kollege Dirk Bach, letztlich an Übergewicht. Da habe ich zum ersten Mal nachgedacht. Umgedacht habe ich dann zwei Jahre später. Ein Lebenserwartungstest im Internet prognostizierte mir schonungslos: In zwei Jahren bist Du tot. Sterben wegen Diabetes und Übergewicht war nicht mehr theoretisch. Es war eine real existierende Bedrohung. In der Nacht sah ich im Traum meine Frau, unsere Tochter auf ihrem Fahrrad und ihren Vater. Nur der war nicht ich! Ich wachte auf und wusste: Ich will nicht mehr dick sein. Es war wie ein massiver Schlag ins Gesicht.

Allerdings verführte Sie weiter die Schokolade.

Es gab manchmal Tage, an denen aß ich zehn Tafeln. Das macht ein Kilo pro Tag. Es war die Droge, die mich betäubte. Ich hatte immer einen geheimen Vorrat und war ausgerüstet für unterwegs.

Welche schmeckte Ihnen?

Kinderschokolade. Ich habe schon einen Ferrero-Gedenkstein. (lacht) Traf ich mich mit Freunden im Restaurant, aß ich heimlich vorher. Dann konnte ich sagen: Ich wähle normale Portionen. Ich weiß gar nicht, was los ist? Großer Selbstbetrug. Außerdem setzt Zucker das Glückshormon Dopamin frei. Wird davon zu viel ausgeschüttet, entwickelt der Körper eine Resistenz, wie bei mir durch die Schokolade. Leider flachen auf diese Weise alle positiven oder negativen Gefühle ab. Dann berührt Dich nichts mehr.

Sie haben der süßen Droge entsagt und rund 80 Kilo abgenommen. Was war die größte Herausforderung auf diesem Weg?

Ich habe von heute auf morgen auf Zucker verzichtet. Wie kalter Entzug. Ich war zwei Wochen lang aggressiv, ungenießbar, in meiner Ausdrucksweise unkontrollierbar. Oft schweißgebadet. Wie ein Junkie.

Wie ist inzwischen Ihr Verhältnis zur Ernährung?

Ich esse immer noch gern. Aber ich setze es in Relation, zu dem, was ich leisten muss, um es wieder zu verbrauchen. Ich bewerte es konkret nach Kalorien und ob es meinem Körper gut tut. Das Problem mit Essen ist, dass es immer für Dich da ist. Es stellt keine Fragen. Es streichelt Deine Seele, in dem es Dich mit Geschmack und Wohlgefühl belohnt. Es verschafft Dir Ablenkung von Gefühlen. Allerdings nur für kurze Zeit. Wenig später landest Du wieder in einem emotionalen Loch. Das schreit erneut nach Befriedigung. Erst wenn Du diesen Schreihals zum Schweigen bringst, stillt Du Deinen wirklichen Hunger im Leben und nicht den körperlichen.

Wie reagieren Sie heute, wenn Sie andere Menschen mit Übergewicht sehen?

Sie tun mir leid. Ich möchte sie motivieren und ihnen sagen: Du packst das. Ich erlebe leider, dass viele das nicht wollen. Wie man Gewicht abnimmt, ist kein Geheimnis. Exogene Faktoren spielen keine Rolle. Der Antrieb sollte aus einem selbst kommen. Es muss Klick machen. Wichtig ist, diesen Trigger zu finden. Der ist bei jedem ein anderer. Mich erreichen viele Nachrichten von Leuten, die abgenommen oder Drogen abgeschworen haben, weil es bei ihnen Klick machte.

Welche Erkenntnis haben Sie in dieser Zeit gewonnen und was hat Ihnen geholfen?

Ich habe mich grundsätzlich gefragt: Warum bin ich auf dieser Welt? Was will ich mit meinem Leben anfangen? Und was tue ich meiner Tochter an? Schließlich bin ich für sie verantwortlich. Nur wenn ich gesund bin, kann ich sie stützen und ihr nicht später zur Last fallen. Wichtig ist, die Verantwortung zu übernehmen und das Ruder des Lebens in die Hand zu nehmen. Ich hatte mich stattdessen viele Jahre lang treiben lassen.

Wir unterschätzen im Allgemeinen die Möglichkeiten und die Kraft, die in uns liegt. Wir haben verlernt, unseren Willen zu stärken. In unserer so genannten Spaßgesellschaft haben wir uns an Dinge gewöhnt, die uns gut tun und Lust oder Profit bringen. Wir sind so verwöhnt, dass wir uns Unangenehmem nicht mehr stellen. Aber beim Durchhalten schwieriger Herausforderungen bekommt das Positive einen ganz anderen Wert.

Können Sie ein Beispiel geben?

Ich habe nicht immer Bock auf Sport, obwohl ich jeden Tag ins Fitnessstudio gehe. Dort stören mich nur die ersten zehn Minuten. In denen diskutiere ich nicht mit dem Schweinehund. Denn Sport muss ich sowieso machen. Ich brauche die Willenskraft, 90 Minuten auf dem Crosstrainer zu laufen, und ziehe die letzten anstrengenden 30 Minuten durch.

Interessanterweise breitet sich diese Willenskraft auf andere Bereiche des Lebens aus. Dann führe ich im Job ein Projekt bis zum Ende, obwohl ich keine Lust habe. Selbst unangenehme Dinge wie die Steuererklärung zu erledigen, ist dann ein schönes Gefühl.

Was hindert Menschen, diese Willensstärke zu entwickeln?

Ich glaube, viele lassen sich von äußeren Faktoren ablenken. Ich höre oft Ausreden, dass sie private oder berufliche Verpflichtungen hätten. Aber dann musst Du Dein Leben ändern. Bevor Dein Leben und der baldige Tod Dich ändern. Dein Körper kann nicht wie Du protestieren. Er reagiert nur mit einfachen biologischen Gesetzen. Ich allein entscheide, ob ich diese Zigarette rauche, das Glas Wein trinke oder zum Sport gehe. Ich mache niemandem etwas vor. Das ist ein verdammt harter Weg. Aber er lohnt sich.

Beschreiben Sie uns Ihr neues Ich, den dünnen Tetje. Wie ist der?

Er ist fitter und schläft besser. Er spürt Gefühle und sich intensiver. Er lässt mehr an sich heran und ist nicht mehr wie in Watte gepackt. Die Meinung anderer nimmt er noch zu wichtig, jedoch nur manchmal. Er ist authentischer, ruht in sich. Das macht ihn nicht immer glücklicher. Aber er hat mehr Möglichkeiten, glücklich zu sein.