Greenhorns auf Gäulen

Einmal Cowboy sein. Können Greenhorns auf dem Arizona Cowboy College. Vor allem Stadtneurotiker aus der ganzen Welt lassen sich hier in mehrtägigen Kursen zum Kuhhirten ausbilden. Auf einer Ranch und im heißen Wüstensand suchen sie die Freiheit und Härte des Wilden Westens.

Wir reiten früh aus. Es sind bereits 38 Grad an diesem Morgen. Die Sonne brennt und ich ahne nur, wie ich erst schwitze, wenn sie mittags im Zenit steht. Unter mir trabt Molly auf dem staubigen Boden, vorbei an ein paar Büschen und Kakteen. Wie grüne Wegweiser stehen sie einsam in der Ödnis. Weit und breit ist keine Wolke am Himmel. Direkt vor uns erstreckt sich die wüste Landschaft. Am Horizont kann ich die Ausläufer des Tonto National Forest sehen.

Mit einer Hand führe ich die Zügel. Die andere ruht lässig am Sattelknauf. Rhythmisch verschmelzen Ross und Reiter und so langsam kommt endlich das Gefühl von Cowboy auf. Das ist sie also – die Freiheit des Wilden Westens. Und ich bin der gottverdammte Marlboro Man.

Wenn da nicht Elaine Pawlowski wäre.

„Hey, Du verlierst den Anschluss. Halt die Zehen nach außen. Die Ferse nach unten.“ Ich gehorche. „Und werd’ locker mit den Zügeln.” Sofort. So gut ich kann. Nicht wegen ihrer schwarzen 9-Millimeter, die sie auf der Hüfte trägt. Sondern weil Elaine uns davon bewahrt, vom Pferd zu fallen. Denn wie dumm wir uns auch anstellen – das möchte keiner, mit einmal ungeschickt oder ohnmächtig vor Hitze in den Wüstensand plumpsen. Ganz bestimmt nicht am ersten Tag im Arizona Cowboy College.

Im „Lorill Equestrian Center“, einer Ranch nördlich von Scottsdale im Süden von Arizona, kann sich jeder, der will, zum echten Cowboy ausbilden lassen. Oder zumindest zum Möchtegern. Die Kurse finden an einem, drei oder fünf Tagen in der Woche statt. Danach hat man eine ungefähre Ahnung, wie diese uramerikanische Ikone des Individualismus heute lebt.

Denn die Schule hat nichts von den zahlreichen Spa-Ranches, die Wellness und Entspannung versprechen. Auf dem Programm des Unterrichts wartet typischer Cowboy-Kram: Kühe durch die freie Natur jagen, im Gatter einpferchen, fangen, brandmarken, impfen, Wasserreservoir auffüllen und Zäune reparieren. Am nächsten Tag geht‘s von vorne los. Ganz klar, es wird gearbeitet und jeder Schüler macht gefälligst mit. Bei Wind und Wetter. Ein wenig wie beim Urlaub auf dem Bauernhof. Nur mit mehr Härte und Sexappeal.

Im Mittelpunkt stehen die Pferde. Neben Rindern, der Horde Hunde und ein paar gemütlichen Hängebauchschweinen leben 50 von ihnen auf der Ranch. Mit ihnen trainieren die Schüler – ob Anfänger oder Profi – in unterschiedlichen Disziplinen wie Springen, Dressur, Western oder Vielseitigkeits- und Geschicklichkeitsreiten.

Meines, die gutmütige Molly, hat mich sicher durch die Wüste begleitet. Wer wen geführt hat, ist bis zum Schluss nicht klar. Allerdings reagiert das Tier auf die leiseste Berührung und Bewegung meines Körpers. Und ich spüre nach einem mehrstündigen Ritt plötzlich Muskeln, die ich vorher nicht kannte.

Im Niemandsland der Steppe, die selbst für erfahrene Cowboys tödlich sein kann, ist das Pferd Dein Partner, dem Du vertraust. Zurück auf der Ranch bürste ich Molly deshalb liebevoll und gründlich ab. Schon kleine Verletzungen oder Stachel von Kakteen unter dem Sattel sind für sie schmerzhaft. Leicht streiche ich an ihrer Ferse von oben nach unten, damit sie den Huf hebt. Sie reagiert, nach dem hundertsten Versuch. Immerhin, wieder ein kleiner Erfolg.

Wenn da nicht Elaine Pawlowski wäre.

„Gehst Du um das Tier herum, hab‘ immer eine Hand an ihm.“ Wird gemacht. „Dann weiß es, wo Du bist.“ Verstehe. „Und Du spürst, ob es entspannt ist.” Da spricht Erfahrung. Die ehemalige Feuerwehrfrau ist bereits von Pferden geschmissen, gebissen und getreten worden. Inklusive einiger Knochenbrüche.

Elaine ist der „Jigger Boss“. Die zweite Hand von Lori Bridwell. Ihre Chefin, eine warmherzige Gastgeberin, führt das College, das sie von ihrem Mann übernommen hat, als er vor 18 Jahren starb. Lloyd Bridwell – der Sohn eines Cowboys eines Cowboys eines Cowboys – hatte die Schule Ende der 90er gegründet. Seine Mission war einfach wie erfolgreich: Menschen auf Pferde setzen.

Ähnlich kompromisslos agiert seine Frau. Ein Geschäftsmann hatte ihr mal angeboten, die geschützte Marke ihres Colleges in einem Franchisesystem zu vermarkten. Sie lehnte ab. Dabei hätte sie danach in Dollars schwimmen können, draußen an der 30208 Nr. 152 Street.

Die Adresse der Ranch klingt für Europäer wie Downtown Phoenix. Liegt aber tatsächlich mitten in der Pampa. Wohin die Polizei im Notfall ein Weilchen bräuchte. Daher trägt auch Lori eine Waffe. Ihre ist pink. Der Revolver schützt vor menschlichen Schmeißfliegen, mehr aber noch vor Klapperschlangen, Bären oder Pumas, die die Sonora-Wüste ebenfalls als rechtmäßige Heimat empfinden.

Komplett harmlos ist dagegen die Metall-Kuh auf Rädern. Ein stilisiertes Kalb aus Stahl mit Hörnern aus Plastik. Es wartet am Nachmittag geduldig neben den Pferdeställen auf uns. Wirklich gefährlich werden kann es nur dem Ego – wir üben Lasso werfen: Knoten machen, dann Schlaufe, Seil über dem Kopf schwingen, zielen, werfen, treffen.

Klingt simpel, schafft elegant aber nur John Wayne. Oder Lori. Die uns hilft, so gut es geht. Dabei rührt sich unser Rind nicht mal vom Fleck. Geschweige denn bewegen wir uns auf einem Gaul, der galoppiert.

Mich tröstet, dass die Trefferquote der anderen Teilnehmer ähnlich miserabel ist. Mit dabei sind auch der 44-jährige Jeff VanDrie, der vor Jahren erfolgreich seine Autozulieferer-Firma verkauft hat und jetzt das Leben als Privatier genießt. Oder Josh Ligget, ein 18-jähriger High-School-Schüler. Eines Tages will er sein Vermögen mit Schweinezucht machen. Deshalb übt er wohl weiter, während wir längst eine kalte Cola aus dem Automaten holen und uns in den Schatten unseres Gemeinschaftshauses hocken.

In seinem rustikalen Schlafraum mit Holzbetten nächtigen das Jahr über auch die anderen Schüler, wenn sie auf dem Ausritt nicht gerade unterm Sternenzelt schlummern. Weltweit kommen sie aus Ländern wie Kanada, England, Deutschland oder China. In der Regel melden sich Stadtneurotiker an. Die ihre Komfortzone verlassen und die Hände nicht nur am Touchpad im Büro spüren wollen.

„Es gibt hier kein Nine-to-five”, sagt Elaine Pawolwski. „Wenn nachts etwas zu erledigen ist, tut es jemand. Das ist weniger ein Job, sondern eine Lebensweise.” Sattelfester ist definitiv jeder nach dem Cowboy College. Egal, auf welchem Level er sich vorher befand. „Wir möchten, dass Ihr Euch sicher fühlt, wenn Ihr reitet“, sagt Elaine. „Ich gebe dem Schüler immer ein Pferd, das dem Reiter schmeichelt.“

Ein Greenhorn, das erst seinen Flug und deshalb die wichtige Einführung des Kurses verpasst hatte, setzte sie mal auf ein Maultier. Das ist immerhin fast so groß wie ein Pferd. Etwas störrisch, aber dafür schön ruhig zu reiten. Auf der Ranch nennen sie es Molly.