„Ich spüre das Publikum“

Mit 15 Jahren trat sie in Jazzklubs auf, ein paar Jahre später gewann sie mit ihren Platten Gold. Ein Gespräch mit der blinden Sängerin Joana Zimmer über erste Tapes vom selbst Ersparten, Räume, die sich drehen, und gute Lyrik zum Vertonen.

Wie sind Sie zur Musik gekommen?

Ich hatte immer einen natürlichen Bezug, da ich bereits im Elternhaus mit klassischer Musik und Jazz aufgewachsen bin. Mit acht Jahren sang ich in einem Konzertchor und fiel der Leiterin auf, die mich mit Solounterricht förderte. Später haben wir eine Schülerband gegründet, komponiert und am Wochenende eigene Auftritte organisiert. Danach habe ich mit Jazzmusikern gespielt und mich nach dem Abi ernsthaft um den beruflichen Einstieg und einen Plattenvertrag bemüht.

Nach dem strebt so mancher Musiker – wie haben Sie ihn bekommen?

Mit Erspartem habe ich Demobänder produziert und sie an die Plattenfirmen geschickt. Allerdings hat das nicht gefruchtet – oft hören die Entscheider sich das gar nicht an. Ich fragte mich also: Wie kann ich die dazu bringen, dass sie mich hören?

Ich habe ihnen immer wieder geschrieben und sozusagen unkonventionell „Lärm“ gemacht. Ein Assistent des Geschäftsführers von BMG rief mich irgendwann an und meinte: „Was wollen Sie eigentlich?“ Ich sagte, ich wolle mein Tape präsentieren und sei zufällig auch gerade in München. Letzteres stimmte allerdings nicht.

Er lud mich für den nächsten Tag ein und ich bestieg sofort den Zug. Vor Ort sagten sie mir, dass sie so etwas noch nicht gehört hätten und gern mein Demoband Kollegen weitergeben wollten. Ich rückte das erst nicht raus. Aus reiner Verzweiflung, da es mein letztes war (lacht).

Aber dann erhielten Sie die Zusage?

Sie riefen mich ein paar Tage später an und sagten: „Wir wollen Sie haben. Gehen Sie nirgendwo anders mehr hin.“ Das war ein super Satz. Den weiß ich noch wie heute, weil sich in dem Moment mein ganzes Zimmer gedreht hat. Das war wie ein Lottogewinn.

Was würden Sie anderen raten, die ähnlich Fuß fassen wollen?

Talent ist gut. Aber man muss sich auch bemühen, gehört zu werden. Man braucht das nötige Glück, jemanden zu finden, der es zu schätzen weiß. Dass mein Debütalbum gleich Gold gewann, war zuerst überraschend. Schließlich ist nicht alles, was man veröffentlicht, erfolgreich. Aber es hat mich auch nicht aus der Bahn geworfen. Denn ich sah es als Ergebnis harter Arbeit. Ich war schon sehr lange Musikerin.

Hat irgendwann mal eine Rolle gespielt, dass Sie nicht sehen können?

Dem ersten Plattenlabel hatte ich das vorher gar nicht gesagt und mich dafür sogar entschuldigt, aber sicher weil es für mich überhaupt keine Rolle spielt. Selbst die vielen jungen Fans interessiert das nicht. Es macht auch keinen Sinn, das Werk eines Künstlers an solchen Merkmalen festzumachen. Es geht allein um die Musik.

Dennoch interagieren Sie auf der Bühne als Künstlerin direkt mit Ihrem Publikum.

Aber Sie schauen nicht aktiv in die Menschenmenge, auch wenn da vielleicht mal jemand ein Schild hochhält. Ich spüre das Publikum. Ich höre auch von anderen Künstlern, dass sie aktiv die Augen schließen, um sich mit dem Publikum zu verbinden, Emotionen leichter zu transportieren und so die Energie auszutauschen.

Haben Sie einen Moment auf der Bühne, der besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ich hatte viele Jahre vor ein paar Hundert Leuten in Klubs gespielt, mit Ach und Krach ein paar CDs verkauft. Und plötzlich stand ich auf Platz fünf und bei „The Dome“ vor zehntausend Menschen, die laut kreischten. Diese Energie im Raum hat mir erst die Luft genommen. Aber da wächst man mit der Zeit rein.

Welche Sänger bewundern Sie selbst?

Ich mag an Barbra Streisand, dass sie so vielfältig in Klassik, Rock, Pop und Jazz erfolgreich ist. Ihre Stimme klingt noch immer grandios, kraftvoll und nie angestrengt. Auch Freddie Mercury war früher eine Entdeckung. Er hatte eine ausdrucksstarke, furchtlose Art. Ihn kümmerte gar nicht, ob etwas gut ankommt. Er machte einfach sein Ding.

Ich war nicht immer so, sondern wollte, dass sich alle mit dem Ergebnis wohlfühlen. Mir gelingt erst jetzt, nur noch Projekte umzusetzen, die mich selbst inspirieren.

Irgendwelchen Positionen in den Charts oder Erfolgen nachzujagen, macht eh keinen Sinn.

Auch Yoga hat mir geholfen, einen besseren Abstand zu den Dingen zu finden. Ich unterrichte es inzwischen, und es füllt mich glücklicherweise als zweites Standbein ähnlich aus wie die Musik. Auch die Philosophie dahinter fasziniert. Wenn man sich leichter von Besitztümern, falschem Ehrgeiz oder Eitelkeiten löst, kommen plötzlich genau die richtigen Menschen und Projekte auf einen zu.

Welche Projekte und Menschen beschäftigen Sie gerade?

Ich verehre sehr den Schriftsteller Michael Ende. Als Kind fand ich seine Geschichten spannend. Als Erwachsene bringt er mich mit seiner wahren und berührenden Art zu erzählen sogar zum Weinen. Durch Zufall kam ich auf der Frankfurter Buchmesse mit seinem Nachlassverwalter in Kontakt. Nun kenne ich auch die Lyrik von Ende, die ich großartig finde.

Ich darf sie aktuell in einer deutsch-italienischen Produktion vertonen. Dazugestoßen ist bereits ein Mailänder Komponist. Ich verehre ebenfalls Reinhard Mey, der das deutsche Wort als Liedermacher auf ein neues Niveau gehoben hat. Ein wenig sehen wir uns in seiner Tradition.