„Ich kann kochen“

Ein Gespräch mit Sarah Wiener über eine bessere Kochkultur für Kinder, praktische Ernährungsbildung und den kritischen Blick auf unseren Konsum.

Wann haben Sie zum ersten Mal festgestellt, dass sich unsere Kinder nicht gesund genug ernähren?

Das ist ein schleichender Prozess. Unsere Kinder haben sich fast unmerklich entfernt von natürlichen, selbst gemachten Speisen hin zu Fertigprodukten und Junkfood. Das wird dann im Gehen oder an der Bushaltestelle hineingeschlungen.

Wie war das eigentlich in meiner Kindheit, habe ich mich gefragt? Zu meiner Zeit waren Fertigprodukte teurer, als selbst frisch zu kochen, denn sie enthielten noch nicht so minderwertige Zutaten wie heute. Da war das Gulasch im Glas ja fast selbst gemacht. Das hatte seinen Preis. Es gab weniger Chemie- und Aromastoffe, um geschmacklich etwas vorzugaukeln, was es nicht ist. Mit der globalen Ernährungsindustrie sind solche Fertigprodukte längst massentauglich. Im Vergleich sieht man erst, wie weit wir uns vom Ursprung der Lebensmittel entfernt haben.

Wie gelingt es Ihnen, Begeisterung für Ess- und Kochkultur bei Kindern zu wecken?

Kochen mag eigentlich jedes Kind. Du musst nichts auswendig lernen. Es spricht alle Sinne an. Du kannst handwerklich und kreativ tätig werden. Du hast Erfolg, wenn Du bei der Sache bleibst. Auch Kinder, die nicht gern stillsitzen und aus Sicht der Lehrer „verhaltensauffällig“ sind, haben Spaß. Sie werden beim Kochen integriert und erleben Erfolg, von dem gerade sie in der Schule viel zu wenig haben.

Kinder stärken aber nicht nur ihren Körper und ihr Geschmacksgedächtnis mit diesem ältesten Kulturgut. Gefördert werden auch Kommunikation, Teilhabe, Feinmotorik und die Verknüpfung zwischen Händen und Gehirn. Sie lernen, sich selbst zu vertrauen, selbst zu beurteilen und Verantwortung zu übernehmen. Wichtige Fähigkeiten, die heute kaum mehr vermittelt werden.

Sie haben in diesem Zusammenhang auch die Ernährungsinitiative „Ich kann kochen!“ gestartet. Worum geht es da?

Wir wollen in den nächsten fünf Jahren 1,4 Millionen Kindern kochen beibringen. Ziel ist, noch mehr Kindergartenkinder und Schüler mit Kochkursen und Bildungsmaterialien zu erreichen, indem wir Multiplikatoren wie Pädagogen und Lehrer weiterbilden. Wir geben praktische Kochtipps und Hintergrundinfos. Im Mittelpunkt stehen regionale und saisonale Rezepte. Dafür suchen wir übrigens deutschlandweit engagierte Pädagogen, die sich bei uns zum Genussbotschafter weiterbilden lassen wollen.

Was sollen Kinder dabei erfahren?

Sie bekommen einen anderen Bezug zu Lebensmitteln. Bei Fertigprodukten können sie nicht erkennen, was enthalten ist. Es wird ihnen einfach nur vorgesetzt. Es kommt wie aus dem Nichts geflogen. Da ist das Misstrauen um ein Vielfaches höher, als wenn ich, ohne Druck auszuüben, sage: Komm mal her, zupf mal dieses Kraut. Rühr mal diesen Teig. Beleg mal diese Pizza selbst. Such Dir das Gemüse aus. Nach unserer Erfahrung mäkeln sie dann überhaupt nicht rum. Ganz im Gegenteil – sie gewinnen Vertrauen und haben Spaß daran, ihr eigenes Werk zu essen.

—–

Gefragt sind dann aber vor allem erstmal die Eltern.

Manche denken, dass ihre Kinder auf dem Weg von der Schule zum Spielplatz verhungern. Sie schieben ihnen permanent irgendetwas zwischen die Zähne und überfüttern es. Sie bekommen gar nicht mehr die Chance, sich selbst ernähren zu dürfen oder entsprechende Portionen auszuwählen. Auf der anderen Seite sind sie nicht mehr mit den Grundnahrungsmitteln verbunden.

Außerdem leben wir natürlich auch in einem Umfeld, in dem Eltern und Kinder permanent verführt werden. Es geht der Lebensmittelindustrie nicht darum, Kinder gesund zu ernähren. Entscheidend ist die Gewinnmaximierung. Das muss man klar sehen.

Zu viele Lebensmittel für Kinder sind zu fettig zu süß, zu salzig oder werden mit Comicfiguren und Spielzeug beworben. Und das sehr aggressiv. Kleine Kinder können sich dagegen gar nicht wehren. Hier ist auch die Politik gefragt, Eltern zu unterstützen, damit Kinder gesund ernährt werden.

Idealerweise befindet man sich also auf einem Bauernhof wie Sie gerade?

Naja, mit den Bauernhöfen ist das so eine Sache. Wenn Sie heute auf einen Bauernhof gehen, werden Sie enttäuscht sein und die Kuh auf der Weide und den Hahn auf dem Misthaufen oft vergebens suchen. Auch diese Welt ist inzwischen Mangelware und stirbt aus.

Denn das Ernährungssystem, das wir befördern, bedingt eben eine bestimmte Landwirtschaft, die genau die Vielfalt und die bodengebundene Kreislaufwirtschaft nicht unterstützt. Wir erleben eine Kette von Fehlentwicklungen. Das fängt an bei Hybridsamen, geht über Bodenerosion bis hin zur besorgniserregenden Wasserbelastung. Es gipfelt beim Menschen in chronisch entzündlichen Krankheiten, Fettsucht und Allergien. Ich halte das für einen sehr gefährlichen Weg.

Ich trau’ mich jetzt kaum noch in den Supermarkt.

Kommen sie mal zu mir auf den Bauernhof, da würde ich Ihnen jetzt sechs schmackhafte Eier in die Hand geben. (lacht) Es können natürlich nicht plötzlich Millionen Städte zu den regionalen Erzeugern rausfahren. Wichtig sind kluge Logistikketten, die den Bauern mit dem Städter verbinden.

Und was können wir als Einzelne dafür tun?

Als Verbraucher müssen wir diese Art von Lebensmitteln nachfragen. So fördern wir nebenbei die regionale Wirtschaft anstatt globale Konzerne. Nichts Abgepacktes kaufen, bei dem man das Etikett nicht versteht. Sich fragen: Hätte meine Großmutter das als essbar erkannt?

Wir müssen den starken Willen haben, uns Qualität, Vielfalt und Handwerk für die Zukunft zu bewahren. Wenn diese Werte nicht mehr existieren, können unsere Kinder auch keine Sehnsucht mehr danach haben.

Gesunde Ernährung heißt ja nicht Bestrafung, Verzicht und erhobener Zeigefinger. Es bedeutet, mehr Schönheit und Sinnlichkeit. Kinder müssen eine gute Welt kennenlernen. In der gibt es unverarbeitete natürliche Lebensmittel. Da scharrt der Hahn noch draußen auf dem Hof. Die Eier haben unterschiedliche Farben. Und Getreide und Gemüse sind fruchtbar und können sich noch selbst vermehren. (lacht)