Zug um Zug nach oben

Seit seiner Kindheit zieht es den Deutschen Alexander Megos in die Vertikale. Sein Gegner ist dann die Wand. Mittlerweile gehört der 22-Jährige zu den Stars der weltweiten Kletterszene. Ein Gespräch mit dem Athleten über den Spirit am Felsen, typische Anfängerfehler und wie man clever von den Mädels lernt.

Sie klettern schon seit Ihrem fünften Lebensjahr – wie kam es dazu?

Klettern ist das Hobby meines Vaters, so dass ich schon früh in der Halle in Erlangen und draußen an der Wand in der Fränkischen Schweiz war.

Von außen betrachtet hängen Sie dabei die meiste Zeit ziemlich allein der Wand. Warum klettern Sie überhaupt?

Ich genieße den kompletten Lifestyle. Ich reise viel und bin mit Freunden in der freien Natur. Mir ist dieser soziale Aspekt wichtig. Oft gehe ich in die Kletterhalle und quatsche mich mit Freunden bei einem Kaffee fest.

Dieser Sport ist nicht abhängig vom Alter. Es gibt schon Vierjährige, die klettern. Aber auch 80-Jährige. Schließlich geht es nicht immer um Hochleistung. Leichte Kletterrouten können ebenfalls schön sein.

Das alles macht den Sport für mich spannend und attraktiv.

Sie haben vor ein paar Jahren noch nationale und internationale Wettkämpfe bestritten und waren deutscher und europäischer Meister. Nehmen Sie daran noch teil?

Im Nationalkader ist man sehr in Termine eingebunden. Ich bin jedoch nach meinem Schulabschluss bewusst den Schritt gegangen, die Welt kennenzulernen. Als Felskletterer war ich im vergangenen Jahr fast acht Monate in der Welt unterwegs: In den USA, Japan, Australien, Spanien, Norwegen, Schweden, Tschechien und Großbritannien. Ich schließe aber Wettkämpfe künftig nicht aus.

Wie finanzieren Sie Ihre Reisen rund um den Globus?

Über Werbung und Sponsoren, wenn ich in bestimmten Regionen klettere.

Und dort sind Sie allein unterwegs?

Mal klettere ich allein. Oder auch mit fünfzig anderen. Das ist unterschiedlich.

Übernachten Sie auch in der freien Natur oder schlafen Sie gemütlich in Hotels?

Nein, Hotels sind dann doch zu teuer. Meistens lebe ich in Apartments oder ich campe. Dort, wo ich klettere, gibt es sowieso meistens keine Hotels. In Deutschland wohne ich noch in Erlangen bei meinen Eltern.

Wie sieht ein typischer Tagesablauf aus, wenn man als Spitzensportler klettert?

Vor dem Frühstück absolviere ich eine Morgeneinheit mit Entspannungsübungen und Poweryoga, um die Beweglichkeit zu trainieren. Vor allem Muskeln, die beim Klettern nicht beansprucht werden. Mittags mache ich die zweite Trainingseinheit über zwei bis fünf Stunden in der Halle. Abends dehne ich eventuell die  Beine, während ich auf dem Boden sitze und E-Mails beantworte. Zuhause habe ich auch ein Griffbrett und Ringe am Carport für das Ausgleichstraining.

Ein Drittel der Zeit ist also kletterunabhängig. Sie dient dem Ausgleichssport, um die Muskulatur im Gleichgewicht zu halten. In der Woche kommen so 20 bis 30 Stunden zusammen.

Falls Ihnen mal langweilig wird an der Wand – hören Sie dann Musik?

In der Halle läuft meistens Musik. Beim Klettern selbst ist man meist eh so fokussiert, dass man Musik gar nicht wahrnimmt.

In Deutschland soll es inzwischen rund 500.000 Kletterer geben. Klettern entwickelt sich immer mehr zum Breitensport. Sowohl drinnen in der Halle, als auch draußen am Felsen. Welche Tipps geben Sie als Profi den Anfängern?

Am besten startet man in einer Boulderhalle. Dort gibt es maximal vier Meter hohe Wände und dicke Schaumstoffmatten am Boden, die mögliche Stürze abfangen. Dabei bekommt man ein erstes Gefühl, welche Muskeln beansprucht werden und wo die eigenen Grenzen sind.

Schon beim zweiten oder dritten Mal macht man auch relativ schnell Fortschritte. Die Farben der Griffe und Tritte geben bestimmte Routen vor. Schön ist, dass man dort zusammen mit anderen trainieren kann, ohne auf demselben Niveau sein zu müssen. Jeder plant einfach seine individuelle Route an der Wand.

Aber irgendwann zieht es einen dann raus an die Felswand und zum Abenteuer in die freie Natur?

Genau. Viele tun sich draußen aber erst mal schwer. Denn die Griffe sind nicht mehr grün, rot oder orange. Es gibt da plötzlich nichts Buntes mehr. Ein Haken kann auch weit entfernt sein, weil die Abstände nicht mehr so regulär wie in der Halle gesetzt sind. Wenn Du Durst hast, gibt’s auch keine Kasse, an der Du mal eben eine Flasche Wasser kaufen kannst. Außerdem ist man der Witterung ausgesetzt.

Es bedarf also mehr Vorbereitung. Idealerweise sucht man sich einen erfahrenen Seil- und Sicherungspartner. Heutzutage gibt es allerdings auch viele Kletterer, die ausschließlich in der Halle klettern und gar kein Interesse am Fels haben.

Welche Fehler machen Anfänger nach Ihrer Erfahrung immer wieder?

Viele beanspruchen durch das Training und viel Ehrgeiz ihre Finger und Gelenke zu stark. Gerade Anfänger wollen schnell besser werden und trainieren am liebsten fünf Mal die Woche. Sie beanspruchen dann ihre Finger zu sehr.

Außerdem werden Ellenbogen und Schultern stark durch das Ziehen beansprucht. Um den Körper in Balance zu halten, sollte man immer die Gegenspieler trainieren. Also die Muskelpartien, die für das Klettern nicht entscheidend sind.

Viele tappen auch in die Falle, sich nur auf die Kraft in den Armen zu konzentrieren. Sie denken: Je mehr ich wie bei Klimmzügen ziehe desto besser. Dabei vernachlässigen sie Füße und Geschicklichkeit und kommen schnell an ihre Grenzen.

Haben Sie da oben nicht manchmal Angst, dass Sie runterfallen?

Dieser Sport ist wegen des Materials und dem hervorragenden Stand der Technik so sicher, dass einem nichts geschehen kann. Es gibt höchstens menschliche Fehler. Aber die kann man ja ausschalten, in dem man aufpasst. Unachtsamkeit ist also das schlimmste, was einem passieren kann. Wenn man aber immer bei der Sache ist, ist Autofahren zum Beispiel deutlich gefährlicher.

Trainieren Sie diese Aufmerksamkeit?

Ich glaube, die kommt durch das Training. Man ist fokussiert und bei der Sache.

Beim Felsklettern denkt man automatisch die Einstiegsszene aus Mission Impossible 2. In der klettert Tom Cruise in einer Schlucht und hängt irgendwo cool am Fels. Natürlich ohne Seil. Machen Sie das auch?

Es gibt weltweit eine Hand voll Freesolo-Kletterer, also ohne Seil. Aber das ist nur ein Bruchteil der Kletterszene und fällt eigentlich nicht ins Gewicht. Gerade von den Medien, besonders die normalerweise nicht über den Sport berichten, wird das massiv gepusht. Deswegen hat es den Anschein, dass alle ohne Seil klettern und es ein super gefährlicher Sport ist. Aber selbst diese Handvoll Freesolo-Kletterer nehmen etwa 95 Prozent ihrer Zeit das Seil und klettern nur ganz selten wirklich ohne.

Aber Sie haben das noch nie gemacht?

Nee.

Sind das lebensmüde Spinner?

Definitiv nicht. Ich lese gerade das Buch „Alone on the Wall” von Alexander Honnold, einer der bekanntesten Freesolokletterer. Der besteigt größere Wände ohne Seil. Ich habe ihn auch mal persönlich getroffen. Der ist eher ein zurückhaltender, fast schüchterner Typ.

Bekannt wurde er auch nicht, weil er mediengeil ist oder Aufmerksamkeit braucht. Es sind mehr seine Freunde, die seine Erfolge weitererzählen. Er ist auch kein Adrenalinjunkie, sondern sucht einfach seine persönliche Challenge. Er findet, dass er ein sehr geringes Risiko eingeht.

Aber die Konsequenz ist womöglich der Tod.

Ja, aber er kann das Risiko für sich sehr gering halten und nimmt das in Kauf. Das ist ein mentales Spiel. Er weiß, dass er nicht fällt und so lange er das weiß, ist es für ihn ok. Das ist natürlich ‘ne krasse Einstellung. Ich könnte das nicht. Das machen auch nur die allerwenigsten.

Und die Szene mit Tom Cruise ist realistisch?

Ohne Seil zu klettern, ist realistisch, wenn auch sehr unwahrscheinlich. Aber abgefahrene Sachen, in denen er von einem Felsen zum anderen springt, rutscht und sich fängt oder rückwärts an der Wand hängt – das ist Hollywood.

Irgendwie ist Klettern ein ziemlicher Machosport. Mann hängt am rauen Felsen und lässt seine Muskeln spielen. Beeindruckt das Frauen?

Da müssen Sie die Frauen fragen. Müsste man mal ‘ne Umfrage starten. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass die besonders darauf reagieren. Sonst würde es nicht so viele Machos in der Kletterhalle geben.

Viele finden es wohl spannender, statt Geräte im Studio zu drücken und zu ziehen, den gesamten Körper an der Wand zu trainieren. Deshalb ist es wohl eine Trendsportart.

Nerven die Macho-Kletterer, die nur ihre Muskeln stählen wollen?

Nein, davon sollte man sich nicht beeindrucken lassen. Es ist doch auch schön, dass sich viele für diesen Sport begeistern. Bei einigen ist es auch amüsant zuzuschauen.

Aber es betreiben nach wie vor noch mehr Männer diesen Sport?

Es sind tendenziell mehr. Aber die Frauen sind auf dem Vormarsch. Heute gibt es viele, die schon den Schwierigkeitsgrad 9a klettern. Vor zwanzig Jahren gab es da maximal ein, zwei Männer, die das beherrschten.

Es macht auch Sinn, mit den Mädels zu trainieren. Frauen haben bekanntlich körperlich weniger Kraft als Männer. Aus der Not geboren suchen sie deshalb ständig nach Lösungen, um genauso gut zu klettern wie die Männer. Meistens gleichen sie es durch eine bessere Technik aus. Da kann man sich viel abgucken.

Für’s Klettern braucht es nicht nur Akrobatik und Kombinationsgabe, sondern auch Fingerspitzengefühl. Wie pflegen Sie Ihre Hände? Die sind sicher oft übel lädiert oder bluten?

Offene Wunden muss man natürlich sofort tapen. Aber wenn man erstmal so weit ist, dauert es eine Weile, bis die Wunde verheilt ist. Man entwickelt über die Jahre seine ganz eigenen Methoden, mit Wunden an den Fingern umzugehen. Das reicht von verschiedenen Cremes über Tape bis hin zur Pflege mit Rasierklingen und Sandpapier, wobei überschüssige Haut entfernt wird, um den Heilungsprozess zu beschleunigen.

Cremt man sie mit einer besonderen Salbe ein? Wahrscheinlich nicht Nivea?

Nee, die meisten Kletterer haben eher Probleme mit Schweißbildung. Eine Creme, die Feuchtigkeit spendet, ist da nicht hilfreich. Gut sind Wundheilsalben, die gleichzeitig das Hautwachstum fördern. Ich schwöre da auf Pflanzenextrakte. Man muss viel ausprobieren.

Welche Kleidung trägt man am besten?

In der Sie sich wohlfühlen. Ich trage meistens T-Shirt und dazu ‘ne Hose. Viele nehmen eine Jeans oder eine Baumwollhose.

Über welches Wetter freuen Sie sich, wenn’s raus geht an die Wand?

Je schwieriger die Wand ist, desto wichtiger werden die anderen Bedingungen. Luftfeuchtigkeit und Temperaturen spielen eine große Rolle. Die kleinste Veränderung kann den Erfolg schon beeinflussen. Dieselbe Wand kann bei Sonne und Wärme gefühlt drei Mal schwieriger sein als am nächsten Tag, wo es Schatten gibt.

Je wärmer es draußen also ist, desto schwerer wird es. Bei Sonne wärmt sich der Felsen auf, die Finger schwitzen – und schon rutscht man leichter runter. Auch bei Regen und Nässe macht es wenig Sinn. Ideal sind 10 bis 15 Grad im Schatten.

Ist ärgerlich, wenn Sie an einen Kletterort gefahren sind und das Wetter spielt nicht mit.

Dann muss man eben warten. Bei einer längeren Regenperiode fährt man in ein Gebiet, das zwei Stunden entfernt ist. Sicherlich ist es nicht ideal, aber leider kann man am Wetter nichts ändern sondern muss es hinnehmen, wie es ist.

Wie lange klettern Sie eigentlich an der Wand?

Meine Routen sind in der Regel 10 bis 30 Meter lang. Das kann eine bis vierzig Minuten dauern. Eine Route klappt aber oft nicht auf Anhieb. Zuerst probiert man einzelne Sequenzen der Route, schaut sich die verschiedenen Griffe und Tritte an und erarbeitet sie sich so.

Stellen Sie sich das vor wie beim Tanzen. Wie die einzelnen Schritte übt man die einzelnen Sequenzen. Sie muss man so verinnerlicht haben, dass alles automatisch geht. Am Ende arbeitet man darauf hin, die Route einmal perfekt durchzulaufen, denn nur so schafft man, sie am Ende zu klettern. Wichtig ist dabei auch, dass die äußeren Bedingungen passen, damit alles effizient ist.

Wo finden Sie diese Routen in freier Natur?

Es gibt feste Routen, die festgelegt sind. Man könnte sich natürlich auch seinen eigenen Felsen suchen und sich eine Route mit Bohrmaschine und Haken selbst einrichten. Aber das machen Erstbegeher. Die seilen sich dann von oben ab und befestigen die Haken. Wir klettern an den bestehenden.

Und das machen diese Erstbegeher freiwillig?

Ja, denen macht das Spaß.

Haben oder hatten Sie Vorbilder in Ihrem Sport?

Na klar, Sie können sich von jedem etwas abschauen. Jeder Kletterer hat seinen persönlichen Stil und spezielle Stärken. Beeindruckend waren auch die Leistungen der Kletterpioniere, die ihrer Zeit voraus waren und heutige Meilensteine geschaffen haben. Leute wie Jerry Moffatt, Ben Moon, Wolfgang Güllich oder Chris Sharma haben neue Schwierigkeitsgrade eröffnet und hatten Visionen, was noch möglich war.

Früher habe ich Videos von denen geschaut, hatte Poster an den Wänden und davon geträumt, mit ihnen zu klettern. Als ich vor drei Jahren selbst etwas bekannter geworden bin, haben sich diese Idole plötzlich mit mir unterhalten. Das war schon cool und ein supergutes Gefühl.

Hat sich der Sport im Vergleich zu früher verändert?

Das Material hat sich deutlich verbessert. Sie haben mehr Varianz in den Schuhen für unterschiedliche Arten des Kletterns. Die Seile sind dünner. Auch die Schwierigkeitsgrade haben sich natürlich erhöht.

Wo klettern Sie aktuell?

Ich bin gerade in Sheffield in England für zwei Wochen. Sheffield ist eines dieser Kletter-Mekkas wo schon vor 30 Jahren die heutigen Kletterlegenden schwer geklettert sind.

Was planen Sie in Zukunft?

Im Oktober starte ich eventuell ein Fernstudium. Vermutlich in Richtung BWL. Irgendetwas in der Art.

Und beim Klettern möchte ich irgendwann sagen können, dass ich mein Limit körperlich und geistig erreicht habe.