Generationenvertrag

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Jürgen Rüttgers, der frühere nordrhein-westfälische CDU-Ministerpräsident und Bundesminister a. D., ist auch nach dem Rücktritt von seinen politischen Ämtern noch lange nicht im Vorruhestand. Ein Gespräch mit ihm über seinen neuen beruflichen Schwerpunkt, seine Forderung nach einem neuen Generationenvertrag und die Chancen und Risiken des demografischen Wandels.

Was machen Sie aktuell nach dem Rückzug aus Ihren politischen Ämtern?

Ich habe einen Lehrauftrag an der Universität Bonn, engagiere mich sehr stark ehrenamtlich und bin Mitglied in der Rechtsanwaltsgesellschaft Beiten Burkhardt. Mir macht der neue Lebensabschnitt viel Freude. Ich habe jetzt auch Zeit, über zentrale Herausforderungen wie den demografischen Wandel nachzudenken und Vorschläge zumachen.

Mein Vorschlag, das Renteneintrittsalter abzuschaffen und jedem zu erlauben, selbst zu entscheiden, wann er in Rente geht, hat inzwischen viel Zustimmung gefunden. Etwa durch die Vorsitzenden von Gesamtmetall und IG Metall. Es tut sich also etwas.

Was können Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und jeder Einzelne zum Thema „Demografischer Wandel“ beitragen?

Seit Jahrzehnten diskutiert Deutschland über Gastarbeiter und Facharbeiter, über Zuwanderung und Auswanderung, über Bevölkerungsexplosion und Bevölkerungsrückgang, über eine älter werdende Gesellschaft und den demografischen Wandel. Geschehen ist zu wenig.

Dabei hat der demografische Wandel schon begonnen. Schulen werden geschlossen. Dörfer werden leer. Lehrstellen können nicht mehr besetzt werden. Doch das ist nur der Anfang. Es wird Zeit, ein Gesamtkonzept vorzulegen und dazu muss jeder beitragen.

Ihr Konzept ist ein neuer Generationenvertrag. Wie soll der genau aussehen?

Der heutige Generationenvertrag umfasst nur zwei Generationen. Die arbeitende Generation bezahlt die Renten der vorhergehenden. Der neue Generationenvertrag muss auch die Kinder und Jugendlichen umfassen. Die Idee ist nicht neu. Sie gab es schon bei der Einführung der lohnbezogenen, dynamischen Rente 1957. Damals lehnte Bundeskanzler Adenauer die Einbeziehung der jungen Generation mit dem Satz ab: „Kinder bekommen die Leute immer.“

Das war, wie man jetzt weiß, ein Irrtum. Wenn die Zahl der Kinder immer kleiner wird, geht die Rechnung aber nicht mehr auf. Deshalb brauchen wir im Generationenvertrag auch eine Kinder- und Bildungsrente. Dafür müssen wir die bestehenden kinder- und familienpolitischen Leistungen, die zurzeit etwa 189 Milliarden Euro betragen, einbeziehen.

Keiner kann heute erklären, warum der Kindergarten gebührenpflichtig, das Studium aber gebührenfrei ist. Und auch die individuelle Betreuung von Kindern in den öffentlichen Schulen ist oftmals viel schlechter als in den Privatschulen.

Auch für die Alten muss der Generationenvertrag ergänzt werden. Wer sein ganzes Leben gearbeitet hat, der muss auch im Alter ohne Sorgen leben können. Deshalb brauchen wir auch eine Mindestrente.

Wo setzen Sie den Hebel an, dass Menschen, die älter als 50 sind, wieder Beschäftigung finden?

Mit weniger Kindern und immer mehr Alten werden wir mehr arbeiten müssen. Mehr arbeiten, das heißt: Steigerung der Arbeitsproduktivität, Steigerung der Erwerbsquote, insbesondere bei Frauen, Steigerung der Arbeitszeit, Ausbau eines ausreichenden Angebotes von Kita-Plätzen, mehr Tagesmütter und Ganztagsschulen.

Mit Zuwanderung ist das Problem nicht zu lösen. Aber wir sollten den arbeitslosen Jugendlichen in Spanien, Portugal und Griechenland anbieten, bei uns zu arbeiten. Mehr arbeiten heißt übrigens nicht, dass man mit 67 Jahren als Dachdecker noch auf dem Dach rumläuft.

Ältere Arbeitnehmer verfügen über viel Fachwissen. Wer viel Erfahrung hat, kann als Facharbeiter oder Handwerker auch bei der Baustellenorganisation, der Rechnungslegung oder der Kundenbetreuung Wertvolles leisten.

Bis zu welchem Alter wird Jürgen Rüttgers arbeiten?

So lange es irgend geht, denn wer sich engagiert und arbeitet, bleibt auch gesund.

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