Die Verfolger

Mercedes

Unternehmer Fritz Edl ist bei seinen Ballonfahrten immer abhängig vom Wetter und kann die Lage der Landeplätze nicht planen. Für den perfekten Passagiertransport auch auf unbefestigtem Untergrund und bei erschwerten Einsatzbedingungen verlässt er sich daher auf zwei Vito Allrad

Als am 19. September 1783 in Versailles der dritte Heißluftballon der Brüder Montgolfier emporstieg, bestand die Besatzung aus einem Hahn, einer Ente und einem Hammel. Die tierischen Passagiere waren lebende Platzhalter – Menschen trauten dem neuen Himmelsgiganten im unbekannten „Luftmeer“ noch nicht über den Weg. Bei Fritz Edl im oberbayerischen Chieming dagegen brennen die Passagiere geradezu darauf, die ungewohnte Fahrt anzutreten.

Mit zwei feuerroten Ballons soll es ganz furchtlos auf eine anderthalbstündige Fahrt in rund 3.000 Metern Höhe über das Chiemgau gehen. Der Wetterdienst hat recht behalten, Hoch „Andrea“ bringt abends um 18 Uhr eine ideale, sonnige Lage: Im Süden ist der Blick frei auf das Massiv der Zentralalpen, im Norden kann man bis tief in den Bayerischen Wald sehen.

Edls Mitarbeiter Helmut Randelshofer und Klaus Aigner haben die 16 Teilnehmer vorher mit zwei Vito Allrad vom Parkplatz Alzbrücke zum Startplatz in Seeon gefahren. Unternehmer Edl hat die Transporter ausschließlich für seine 1992 in Traunstein gegründete Firma TS-Ballonfahrten in Betrieb, eines von 90 Unternehmen dieser Art in Deutschland. „Der Vito fährt sich leicht wie ein Pkw“, sagt der gelernte Fliesenleger. In zwei Hängern lagern die, inklusive Korb aus Weidengeflecht und Gerätschaften, 1,6 Tonnen schweren Ballons.

Am Startplatz, einer gepachteten Rasenfläche mit umgebendem Waldstück, angekommen, gibt Edl seinen Passagieren eine kurze Einführung: „So, liebe Leut, merkt’s euch gut: vor und während der Fahrt keinen Alkohol und kein Rauchen. Nicht auf den Korbrand setzen. Bei der Landung immer schön in die Hocke gehen. Und wichtig: Es heißt ‚Ballon fahren‘, nicht ‚Ballon fliegen‘. Wenn ihr später nach der Reise in den Adelsstand der Ballonfahrer aufgenommen seid und noch vom Fliegen sprecht, ist ’ne Flasche Sekt fällig.“

In der folgenden halben Stunde machen sich die Fahrschüler daran, die beiden Ballons aufzurüsten: Sie packen das gesamte Equipment aus den Hängern, verteilen Korb, Ballonhülle, Gasflaschen und Seile auf dem Rasen. Vier Mann ziehen die 30 Meter lange Ballonhülle aus, mit einem Ventilator blasen sie dann Luft in den Schlauch. In weniger als zehn Minuten wächst die breite, reißfeste Hülle aus Nylon Meter für Meter zu einem Koloss heran, der die Menschen um ihn herum wie Winzlinge aussehen lässt. „Das geht beim Vito schon schneller“, sagt Edl und grinst. „Da steigt man ein, steckt den Schlüssel rein, los geht’s. Eine tolle Rundumsicht hat man bei beiden Fahrzeugen. Nur: Im Vito sitzen die Passagiere bequem hinter getönten Scheiben. Im Korb des Ballons stehen sie im Freien.“

Bei seinen Vito hat sich Fritz Edl für die extralange Version mit ihren 5.223 Millimetern Fahrzeuglänge entschieden. 30 Meter hoch türmen sich seine Ballons auf, wenn er wie heute die 6.000 Kubikmeter Hüllenluft mit dem Flüssiggasbrenner auf rund 100 Grad Celsius erwärmt. Das lässt den Ballon steigen, durch Abkühlen der Hüllenluft sinkt er. Die Brüder Joseph Michel und Jacques Étienne Montgolfier verbrannten noch Stroh und Schafswolle, um den nötigen Auftrieb herzustellen. Sobald sich die beiden Ballons vollständig aufgerichtet haben, die Ersatzgasflaschen verstaut, die Instrumente gecheckt und die Manövrierleinen und Tragseile befestigt sind, steigen die Passagiere ein.

Wenig später heben die Ballons vom Gras ab und steigen mit drei Metern pro Sekunde in die Höhe. Über die Bäume hinweg, die immer kleiner werden, bis der breite, dunkle Schatten der Ballons nicht mehr auf die Wipfel fällt und der Nordwestwind sie zum Waginger See trägt. Während die Erde langsam unter ihnen vorbeizieht, gleiten sie in völliger Ruhe dahin, mit Blick auf eine Miniaturlandschaft aus Feldern, Wäldern, Wiesen, Flüssen und Seen. Die Vogelperspektive ermöglicht ein faszinierendes Alpenpanorama: der Dachstein im Osten, im fernen Westen der Großvenediger, der Großglockner und die Zugspitze. Keine lärmenden Flugzeuge stören den 50 Kilometer breiten, flugstreckenfreien Luftraum über dem Chiemgau.

Am Startplatz steigen die beiden Mitarbeiter derweil in die Vito – und übernehmen die Rolle der „Verfolger“. Sie sind verantwortlich für den Rücktransport vom Landeplatz zum Parkplatz. Per Funk stehen sie immer mit den Ballonpiloten in Verbindung. Sobald die grobe Richtung für die Verfolgung feststeht, fahren sie los. Helmut Randelshofer: „Mit unseren Vito können wir dank des Allradantriebs auch auf unbefestigtem Untergrund fahren und außerdem planen, wohin es gehen soll. Mit dem Ballon ist das schon schwieriger.“ Er verfügt nicht über V6-Benzinmotor, Fünfgangautomatik und Servolenkung. Luftpiloten nutzen nur die unterschiedlichen Strömungen, um auf die Fahrtrichtung Einfluss zu nehmen.

Oben, nahe der Wolken, ist Edl für Geschwindigkeiten von bis zu 120 Kilometern pro Stunde auf die schnellen Winde angewiesen. Unten auf dem Asphalt stehen Randelshofer und Aigner bis zu 140 kW (190 PS) zur Verfügung, um hinterherzufahren. „Der Vito schlägt alle Rekorde“, erzählt Aigner. „Es gibt nichts, was gegen das Fahrzeug spricht. Die Gäste haben jede Menge Platz und reichlich Beinfreiheit. Auch das Design ist toll – außen wie innen.“

Edl bietet seine Fahrten, für die Interessenten sogar aus Australien anreisen und die zu fast 90 Prozent zu Anlässen wie Hochzeiten oder Betriebsausflügen verschenkt werden, im Sommer und im Winter an. Bei schlechtem Wetter und den häufig erschwerten Einsatzbedingungen sind Edls Fahrer auf sehr hohe Traktion angewiesen – kein Problem für den Vito Allrad. „Wir müssen mit unseren Transportern zu jeder Jahreszeit fahren können“, erzählt Randelshofer. „Wir lenken sie durch Schnee, Eis und oft auf feuchten Wiesen. Es geht genauso über leichte Steigungen und auch mal Geröll. Da brauchen wir eine hohe Fahrstabilität. Mit neun Passagieren und zusätzlich 1,6 Tonnen Last im Hänger bleibt man ohne Allrad am Ende stecken.“

Auch beim Aufrichten des Korbs wird der Vito als Zugpferd eingespannt. „Er ist für uns so eine Art Allround-Werkzeug. Nur fliegen kann er noch nicht“, so Randelshofer lachend. Vorbei an den Ortschaften Altenmarkt, Matzing und Traunwalchen folgen er und sein Kollege den Ballons, die von Weitem zu sehen sind und nur selten aus dem Sichtfeld verschwinden. Für die Luftpiloten steht nach einem kurzen Tiefflug, bei dem sie das Terrain genauer inspizieren, der Landeplatz fest: ein Acker in der Nähe von Oderburg. Hier treffen Vito und Ballons aufeinander, und die Teams laden die schwere Ausrüstung wieder für den Rücktransport ein.

Zum Schluss folgt das Taufritual: Eine Art Ritterschlag, bei dem Edl eine Haarlocke jedes Schülers ansengt, mit Champagner löscht und den Adepten feierlich in der Kaste der Ballonfahrer begrüßt. Es fallen skurrile Sätze wie „Henry Schröder, du wirst in den Adelsstand der Ballonfahrer aufgenommen: als Herzog Henry, mutiger und mächtiger Imperator unter dem herzlichen Himmel des lieblichen Chiemgaus“. Dieses Ritual hat eine Geschichte: In früheren Tagen waren Ballonfahrten ausschließlich den Aristokraten vorbehalten – wenn sie sich denn trauten.