„Wir brauchen eine neue Gründungskultur“

Ein Gespräch mit Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, über das Vorbild deutscher Familienunternehmen, das Engagement der Bundesregierung beim Bürokratieabbau und die Förderung im Wachstumsmarkt Mobile Solutions.

Der Wachstumsmotor mittelständische Firmen ist ein deutsches Erfolgsmodell. Was können große Konzerne gerade von den Familienunternehmen lernen?

Familienunternehmen denken nicht in Quartalen, sondern in Generationen. Heute wird überall über nachhaltiges Wirtschaften nachgedacht – für den Mittelstand war Nachhaltigkeit schon immer selbstverständlich. Die mittelständische Geisteshaltung birgt noch viele weitere Stärken, die auch für die Unternehmenskultur in Konzernen wichtig sind. Dazu gehören vor allem Leistungsbereitschaft, Mut, Flexibilität und Verantwortungsbewusstsein sowie Wertschätzung der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Was können andere Länder hierbei von Deutschland lernen?

In vielen Ländern fehlt ein starker Mittelstand. Die britische Zeitschrift „The Economist“ hat im letzten Winter unter der Formel „Mittel-Management“ zusammengetragen, was ausländische Unternehmer von unseren Mittelständlern lernen können.

Zum Beispiel, dass man auch in traditionellen Branchen sehr erfolgreich sein kann, indem man langjährige Erfahrung einsetzt oder wie man als kleiner, innovativer „Hidden Champion“ Weltmarktführer in einer Marktnische wird. Im Rahmen der Globalisierung geraten immer mehr mittelständische Unternehmen unter Wettbewerbsdruck.

Was raten Sie ihnen?

Unsere Mittelständler sind Wettbewerb gewohnt. Die Globalisierung bietet deshalb vor allem große Chancen. Das gilt gerade für unsere mittelständische Wirtschaft, die in hohem Maße exportorientiert arbeitet. Mittelständische Unternehmen profitieren oft direkt, als Zulieferer oder Dienstleister der Global Player.

Der Blick über den Tellerrand des heimischen Marktes hinaus ist deswegen sehr lohnend. Ich kann aber kein Patentrezept anbieten, wie deutsche Unternehmen im globalen Wettbewerb erfolgreich sein können. Denn wie die eindrucksvollen Bilanzen vieler mittelständischer Unternehmen beweisen, kennen die Unternehmerinnen und Unternehmer die besten Antworten auf diese Frage selbst.

Was tut die Bundesregierung, um die Firmen in dieser Situation zu unterstützen?

Wir verfügen über ein breites Spektrum an Förderinstrumenten für die Außenwirtschaft, etwa die sogenannten Hermes-Exportkreditgarantien. Darüber hinaus bietet die Agentur Germany Trade and Invest eine breite Palette von Informations- und Serviceleistungen für mittelständische Unternehmer, die sich neue Märkte im Ausland erschließen wollen.

Wichtig ist mir, dass wir in Deutschland und weltweit gute Rahmenbedingen für die Unternehmen schaffen. Dazu zählen unter anderem ein konsequenter Bürokratieabbau und eine liberale, an den Prinzipien des freien Welthandels ausgerichtete Handelspolitik.

Der Gang in die Selbstständigkeit wird von vielen Deutschen eher als Risiko denn als Chance begriffen. Wie kann in Deutschland der Unternehmergeist gefördert werden, der für den Mittelstand essenziell ist?

Erfreulicherweise haben in den beiden vergangenen Jahren wieder mehr Menschen den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Allein 2010 gab es über 417.000 Existenzgründungen. Internationale Vergleiche zeigen aber, dass bei uns die Angst vor einem Scheitern besonders stark ausgeprägt ist.

Wir brauchen deshalb eine neue Gründungskultur. Dazu haben wir im Rahmen unserer Initiative „Gründerland Deutschland“ eine Reihe von Projekten auf den Weg gebracht, zum Beispiel die Gründerwoche, Feriencamps für Schüler und einen Gründerhochschul-Wettbewerb.

Anders als Großunternehmen leidet der Mittelstand unter der Last behördlicher Auflagen. Was raten Sie hier bzw. was können hier Unternehmer in Zukunft Positives erwarten?

Die Bundesregierung lässt beim Bürokratieabbau nicht locker. Allein die Vereinfachung der elektronischen Rechnungsstellung senkt die Bürokratiebelastung um über vier Milliarden Euro. Und wir gehen weiter. Wir betrachten nicht mehr nur die Berichtspflichten, sondern auch den sogenannten Erfüllungsaufwand.

Eine Rolle spielen hier zum Beispiel auch die Kosten für technische Anschaffungen, die durch staatliche Regelungen erforderlich werden. Von diesem breiteren Ansatz verspreche ich mir einen weiteren, spürbaren Bürokratieabbau.

Was raten Sie mittelständischen Firmen, wenn sie von einem Fachleutemängel betroffen sind?

Erst vor einigen Tagen habe ich das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung eingerichtet, das den Mittelstand in personalstrategischen Fragen berät. Das Zentrum erarbeitet Handlungsempfehlungen und verbreitet sie unter anderem im Internet. Beispielsweise wird gezeigt, wie man effektiv in Aus- und Weitbildung investiert. Für die Unternehmen ist auch zunehmend wichtig, dass ältere Beschäftigte ihre Kompetenzen gut einsetzen können, und dass die Beschäftigten Beruf und Familie leicht miteinander vereinbaren können.

Wie sind nach Ihrer Kenntnis die mittelständischen Firmen im Bereich „Mobile Business“ aufgestellt?

Mobile Computer und Smartphones haben längst den Arbeitsalltag kleiner und mittlerer Unternehmen erreicht. Genauere Daten zu den Möglichkeiten mobiler Anwendungen ermittelt gerade das Netzwerk Elektronischer Geschäftsverkehr mit seiner Umfrage „E-Business 2011“.

Das Netzwerk mit seinen bundesweit 28 Kompetenzzentren steht den Mittelständlern seit mehr als zehn Jahren neutral und kostenfrei mit Rat und Tat zur Seite. Es wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie unterstützt und wir werden es in den kommenden Monaten noch weiter ausbauen.

Werden diese Unternehmen ausreichend gefördert?

Ich setze auf die Verbindung von Forschung und Entwicklung mit Umsetzungshilfen für die Praxis. Wir haben zum Beispiel technische Lösungen für mobile Netzwerke geschaffen, in denen sich kleine Handwerksbetriebe zusammenschließen können. Außerdem bieten wir umfangreiche Informationsdienste an, elektronisch wie gedruckt.

Erst kürzlich ist eine Broschüre zur IT-Sicherheit erschienen. Dieses Thema ist mir besonders wichtig – mit der im Bundeswirtschaftsministerium neu geschaffenen Task Force „IT-Sicherheit in der Wirtschaft“ werden wir gerade kleinen und mittleren Unternehmen künftig auch dabei noch mehr Unterstützung anbieten. Der Trend, dass Firmen ihre Vertriebschance im E-Commerce suchen, hält an.

Welche Chancen liegen für mittelständische Unternehmen im mobilen Handel?

Der elektronische Handel wuchs in den vergangenen Jahren und auch während der Wirtschafts- und Finanzkrise in zweistelliger Größenordnung. 2010 lag der Umsatz bei 23,7 Milliarden Euro. 86 Prozent der Unternehmen, die einen Online-Shop einführen, versprechen sich dadurch neue Wettbewerbsvorteile.

Das Bewusstsein ist also bereits geschärft. Unterstützung bietet übrigens auch hier das Netzwerk Elektronischer Geschäftsverkehr mit seinem Branchen-Kompetenzzentrum Handel.